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Channel: Schlafen für Aufgeweckte
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Nacht-Wachen

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Muss man überhaupt schlafen? Und wenn, muss das dann überhaupt nachts sein? Wir Menschen sind doch frei in unseren Entscheidungen, heißt es doch immer. Und dass wir uns von den Bürden und Bedingtheiten der Natur so gut emanzipiert haben, heute. Wir haben künstliches Licht, wir haben genug Läden und Lokale, die die ganze Nacht auf haben, wir haben's doch geschafft, uns aus den ganzen Abhängigkeiten zu befreien. Ist Schlaf nicht nur ein lästiger Zustand, in dem ich nix auf die Kette kriege, kein Geld verdiene, nichts produziere, nicht jogge, nicht veganistisch radikal essen kann, um meine Fleischfressenden Nachbarn moralisch zu düpieren; keine Hanteln stemme, ja nicht mal bewusst entspanne, weil mein Bewusstsein ja abgemeldet ist, im Schlaf? Was ist das alles für ein überkommener Quatsch mit dem Nachtschlaf? Und was sagen wir den ganzen Nachtwachen, den Nachtarbeitern, den Schichtdienstlern, die wir alle brauchen, damit unsere hoch gezüchtete Gesellschaft gut funktioniert? Wir brauchen die Polizei, die Feuerwehr, den Rettungsdienst, Ärzte und Pflegekräfte, wir brauchen die Nachtschicht am Band bei Mercedes, Audi, Ford und VW, wir brauchen die Leute im Kraftwerk, wir brauchen die Piloten und Flugbegleiterinnen, die Fluglotsen, Lokführer und all die vielen LKW-Fahrer, die allesamt nachts arbeiten, damit auch die vehementesten Konsumgegner und Anti-Autobahn-Landschaftsschützer genug Sojamilch in "ihrem" Reformhausregal um die Ecke finden. Alles hat seinen Preis. Auch die Emanzipation von Mama Natur und auch das Tofustück mit Hackgeschmack. Das man Tag und Nacht futtern kann. Je nach Plaisier.

Nun, wir können tatsächlich frei entscheiden, ob wir schlafen wollen, bei Nacht, am Tag, oder gar nicht. Mehr oder weniger frei ist diese Entscheidung jedoch, denn: "Die Sterne machen geneigt, (aber) sie zwingen nicht". Dieses Zitat, dass man mal Johannes Kepler und mal Thomas von Aquin zuschreibt, erzählt pars pro toto davon, dass unser Organismus bei Nacht (wenn die Sterne zu sehen sind) zwar nicht gezwungen ist, zu schlafen, unser Körper aber zumeist irgendwann lauthals danach verlangt, zu schlafen. Es gibt also eine dem Menschen - an- und eingeborene - Neigung, zu schlafen, und das auch vornehmlich bei Nacht. Wir schlafen am besten, wenn Nacht und Dunkelheit zusammenfallen. Denn auch wenn ich es mir am Tage total dunkel mache, im Schlafzimmer, und die Nacht durchgemacht habe (auch ohne Alk), schlafe ich trotzdem meist nie so lange, so gut, so tief und so erholsam, wie wenn ich nachts schlafe. Denn Nacht bedeutet nicht nur Dunkelheit, Nacht bedeutet auch eine andere chronobiologische Phase im Körper, als Tag. Zig Hormone und andere Botenstoffe unterliegen einem uralten und stabilen Tag-Nacht-Rhythmus, der nicht mal eben in ein paar hundert Jahren genetisch und epigenetisch auf unsere sogenannten modernen Zeiten umgeswitched und adaptiert werden kann. So schön das auch wäre. Es klappt immer nur bedingt und meist nur für einige Zeit. Irgendwann meckert bei jedem, der nachts wacht, irgendeins der vielen Körpersysteme. Im Schnitt beginnen die Malässen an Leib und Seele nach 6-7 Jahren Nachtarbeit. Sei es der Magen in Form einer Magenschleimhautentzündung (Gastritis), sei es die Speiseröhre in Form von Reflux, sei es der Darm in Form eines Reizdarms, sei es die Leber in Form einer Fettleber (mit oder ohne Diabetes), sei es das Herz in Form hohen Blutdrucks oder einer Herzkranzgefäßerkrankung, sei es der Rücken in Form von Schmerzen, oder sei es die Psyche in Form von Angst, Burnout oder Depression. Und natürlich von Schlafstörungen.

War es denn früher besser? Ging es den Menschen besser, als es noch kein künstliches Licht gab und wir mit Einbruch der Dunkelheit müde wurden? Nicht wirklich wahrscheinlich. Denn damals gab es eben andere Gefahren. In den Städten schlossen die Nachtwachen nachts tatsächlich die Türen von außen zu und gaben dem Hausherrn erst am Morgen den Schlüssel zurück, weil es Diebe, Mörder und anderes Gesindel der Nacht sonst leicht hatte, einzubrechen, zu rauben und zu schänden. Über Jahrhunderte war die Nacht die Zeit der Bedrohung und der Angst. Eben gerade weil es so dunkel war und man die Dunkelheit ausser mit Kerzen kaum erhellen konnte. Über Jahrtausende barg die Nacht die Gefahr der Raubtiere für die umherziehenden Gruppen der Jäger und Sammler. Giftige Schlangen, gefrässige Bären, Wölfe und anderes Ungetier, Myriaden stechender Insekten und sonstiger Viecher störten den Schlaf oder machten dem Leben gleich ein Ende. In traditionellen Kulturen hielt immer irgendwer Wache bei Nacht. Man wechselte sich ab. Schlief in Etappen. Das Feuer durfte nicht ausgehen und durfte nichts verbrennen., was man noch brauchte. Damals gab es keinen Diabetes und keinen Reizdarm und keinen Reflux und kein Burnout. Weil die Menschen ganz andere Probleme hatten und weil sie gar nicht alt genug wurden, um diese "Zivilisationskrankheiten" zu bekommen. Sie wurden vorher ermordet, gefressen, verendeten an einer banalen Grippe oder verbrannten aus Versehen, weil ein Funke des nächtlichen Feuers ihnen in die ollen Klamotten flog.

Jede Zeit hat ihre Probleme. Machen wir das Beste aus unserer(n). Denn: as long as you stay, you pay in any way....

 

 


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